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Ferien / Reisen

Im Banne des Vulkans

Im Banne des Vulkans

Im Nordosten von Sizilien kann auf kleinstem Raum viel entdeckt werden; vom griechischen Tempel, malerischen Bergdörfern bis zur beeindruckenden Natur, die geprägt ist vom Ätna. Kulinarisches kommt dabei nicht zu kurz.

«Dieser Blick alleine ist die Reise nach Sizilien wert», schwärmt eine Touristin neben uns. Wir sitzen auf einer der obersten Steintreppen im griechisch-römischen Theater von Taormina, 210 Meter über Meer auf einem Felssporn über dem Tyrrhenischen Meer. Die Anlage aus dem 3. Jahrhundert vor Christus, die die Römer 500 Jahre später stark umbauten, ist in einem aufsteigenden Halbrund angeordnet. Die 120 Meter lange Mauer, die den Halbkreis abschliesst, ist von Rundbögen durchbrochen, die faszinierende Ausblicke gewähren: Hinter den Hausdächern der kleinen Stadt ist das bergige, bewaldete Land, weit unten die Küste und das Meer sichtbar. Einfach traumhaft. Da spielt es auch keine Rolle, dass wir nicht die einzigen Touristen sind. Rund 1 Million Besucher sollen das Städtchen jährlich besuchen.

Unsere quirlige sizilianische Reiseleiterin Antonella reisst uns aus dem Staunen. Sie zeigt zu einem nächsten Dorf, das auf der Terrasse einer weiteren Bergflanke liegt. «Leider ziert sie sich heute. Dort wär sie zu sehen.» Wir sind irritiert. Von welcher Sie spricht sie? «Hätte es heute keinen Nebel, würden Sie die Ätna dahinter sehen», löst sie schmunzelnd das Rätsel auf. «Für uns Sizilianer ist der Ätna eine Frau. Sie ist wie wir impulsiv und unberechenbar!» Zumindest sehr sportlich unterwegs ist unsere Begleiterin. Beeindruckend schnell fuhr sie uns die Serpentinenstrasse nach Taormina hinauf. Nun schleust sie uns zurück durch die Via del Teatro Greco, vorbei an unzähligen Souvenirladen auf die Piazza IX. Aprile mit Blick bis zum Meer. Wäre sie nicht gewesen, wir wären in der verwinkelten Altstadt achtlos an der Bam Bar vorbei gegangen. Und hätten damit Granita, eine kulinarische Spezialität der Insel, verpasst. In der Art, wie es die Sizilianer bereits zum Frühstück essen, bricht Antonella ein Stück Brioche ab, taucht es in das softeisähnliche Glace aus Früchten, Zucker und Eis und isst es genüsslich. Elio Russo, der Küchenchef im Hotel Villa Neri bei Linguaglossa, bringt zum Abschluss des Tages den Duft des Meeres und der Berge in einem Risotto mit Fisch und Wildfenchel auf den Teller.

Mitten in die erstarrte Lavamasse blicken

Mit dem Blick aus dem Fenster bin ich am nächsten Morgen sofort wach. Der Ätna zeigt sich unverhüllt in seiner ganzen Grösse bis hinauf zum schneebedeckten «Kragen». Vom Hotel, das rund 15 km Luftlinie vom höchsten Punkt des 3300 Meter hohen Vulkans entfernt ist, zeigt er sich als Kegel. Der Morgendunst weicht immer mehr der Sonne. Die Flanken werden klarer und plastischer. Eine Rauchwolke steigt aus einem der drei Hauptkrater. Mit einem Corso von fünf Jeeps machen wir uns auf den Weg, den Vulkan zu entdecken. Wir nehmen die nordöstliche Route, die Südseite wird von 2000 bis 3000 Touristen pro Tag überrannt. Entsprechend gibt es dort Seilbahn, Shops und entsprechende Infrastruktur. Wir aber möchten mehr von der Natur sehen. Anfänglich führt der Weg vorbei an Weinbergen, Oliven- und Nusshainen, später durch Kastanien-, Nadel- und Birkenwälder, auf dem Waldboden gelb gefärbte Farne. Der Herbst hat Einzug gehalten. Scharenweise sind Einheimische mit Körben unterwegs. Claudio, der Expeditionsleiter, erklärt, dass das feuchtnasse Wetter ideal für die Pilze sei. «Von den 250 Sorten, die hier wachsen, sind 50 essbar.» Auf rund 900 Metern über Meer ein erster Stopp beim Lavaausbruch im Jahre 1908. Zum Glück gab es keine Todesopfer. Die Lava floss wie eine Honigmasse langsam voran, sodass die Bewohner Zeit hatten, ihre Wohnungen zu räumen. Pionierpflanzen aus Algen und Flechten bringen inzwischen wieder Leben in die schwarze Schutthalde. Ein zweiter Halt bei der Räuber- oder Schneehöhle, unsichtbar für Fremde in einem lichten Birkenwald. Rund 200 weitere soll es in diesem Gebiet geben. Mit Helm geschützt, steigen wir einige Naturtreppen hinunter ins Dunkle in die zimmergrosse Höhle mit zwei Nebenräumen. Wir stehen mitten in einer Blase in der Lava. «Bereits im 16. Jahrhundert lagerten hier die Bewohner Schnee. Das so entstandene Eis wurde bis nach Malta exportiert», weiss Claudio. Später wandern wir auf einer grossen hügeligen Ebene. Was aus Distanz wie grosse Schatten wirken kann, sind schwarze Lavafelder. Auf 1800 Metern über Meer riss ein Lavastrom 2002 eine ganze Skistation mit. Eisenträger liegen wie Zündhölzer geknickt darunter. Der schwarze Kies des Basalts knirscht unter den Füssen. Dazwischen wenige Laubbäume in den herbstlichen Gelb-Rot-Tönen. Der Kontrast hat seine Ästhetik.

«Der Ätna nimmt, der Ätna gibt»

Immer wieder Ausbrüche aus Spalten, die nicht vorhersehbar sind. Warum aber setzen sich die Menschen dieser Gefahr aus? «Der Ätna nimmt, der Ätna gibt», erklärt Bäcker und Konditor Nino Barone in Lingua­glossa. «Probieren Sie diese Mandeln. Eine solche Qualität finden Sie sonst nirgends», strahlt er. Aus solch gemahlenen, geschälten Mandeln, Zucker, Eiweiss und Honig backt er seine «Paste di Mandorla». Vom nährstoffreichen Boden profitieren auch die Winzer. Zwar sind viele Weingüter mit idyllisch gelegenen Landsitzen ins Landesinnere Richtung Randazzo verlassen und verfallen. Schwarze Lavastreifen verstärken den tristen Eindruck. Dazwischen jedoch innovative junge Leute, die an die Zukunft des Weines glauben. Einer von ihnen ist Ruggero Fischetti. Gut eine halbe Fahrstunde von Linguaglossa entfernt, hat er ein Gebäude aus der Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem kleinen Bijou restauriert. 40 Jahre stand es ungenutzt da. Die zwei Hektaren grosse Rebfläche mit bis zu 80-jährigen Rebstöcken bewirtschaftet er auf biologische Art. Zwischen den knorrigen Rebstöcken der Sorte Nero d’Avola und Nerello Mascalese stehen verschiedene Hochstammbäume. «Sie halten mir Insekten ab. Ihre Früchte geben dem Boden Nahrung», ist er überzeugt.

Sizilianer sind gastfreundlich, herzlich, laut

Die Gegend zwischen Meer, Küste, fruchtbarem Land und Vulkan zog und zieht auch immer wieder Künstler an. So widmet Linguaglossa Salvatore Incorpora eine Dauerausstellung. Hier lebte der Katalane von 1945 bis 2010. Gross sind die Hände und Füsse seiner Figuren. «Er hat als Kriegsgefangener gelernt, dass es überlebenswichtig ist, sie zu gebrauchen», erklärt seine Tochter. In seinem Atelier und Wohnhaus, inmitten seiner Exponate, erfahren wir, was sizilianische Gastfreundschaft heisst. Um einen grossen Tisch stehen und sitzen die Gäste. Jeder plaudert mit jedem. Alle sind willkommen, auch wenn wir uns nicht kennen. Unkompliziert wird von den vielen Apérohäppchen gegessen. Dann selbst gemachte Maccheroni mit einem Sugo, der acht Stunden köchelte.Und wieder vergessen wir, dass sie nur «primo piatto» sind. Wer nicht zu einer privaten Einladung kommt, erlebt die Sizilianer am besten auf dem Markt. Da geht es laut, hektisch und bunt zu und her. Die Strasse, ein Karren oder ein Tisch ist der Rahmen für die Begegnung von Anbieter, Käufer und der Fülle an Nahrungsmitteln, die das fruchtbare Land und das Meer schenken.

Monika Neidhart

Infos

Anreise
direkte Flüge von Basel nach Catania

Unterkunft
Hotel Villa Neri
Etwas oberhalb von Linguaglossa auf gut 550 m ü. M.
www.hotelvillanerietna.com

Linguaglossa
50 km nördlich von Catania am Nordosthang des Ätnas. 550 m ü. M. Rund 5500 E. 11 Kirchen, 1 Kloster. Gemalte Bilder an Hauswänden. Idealer Ausgangspunkt für Ausflüge an die Nordseite des Ätnas. Haltestelle des Circumetnea, der 110 km langen Schmalspurbahn, die in 3,5 h durch Oliven- und Pistazienhaine, Obst- und Weingärten und bizarre Lavafelder fast ganz um den Ätna fährt.

Ätna
Mit 3323 m ü. M. höchster Vulkan Europas. Drei Hauptgipfel, fünf Hauptkrater und viele Seitenkrater. An der Basis hat er einen Durchmesser von 40 km. Ausstoss von Lava meist über Seitenkrater, die sich spontan öffnen.

Besteigung des obersten Teils ab 2500 m ü. M. nur zu Fuss möglich. Unbedingt ortskundigen Führer mitnehmen. Der erste belegte Ausbruch fand schon 479 v. Chr. statt, der letzte in der Weihnachtszeit 2018.

Guter Daddy – schlechter Daddy?

Die Vaterrolle ist eine ganz spezielle im Leben eines Mannes. Es ist buchstäblich so, dass sich das Leben von einem Tag auf den andern komplett verändert. Dabei geht es einerseits um eine grosse Verantwortung, anderseits aber auch um Gefühle, um Nähe und Wärme zu dem kleinen «Wurm», der plötzlich in das häusliche Dasein gepurzelt ist. Das Vatersein hat aber auch Schattenseiten.

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