Während des Tages schneeschuhwandern und es sich kulinarisch gut gehen lassen, nachts unendlich weit ins Sternenmeer blicken – das Val Müstair bietet neben dem Kloster St. Johann vieles für genüssliche Ferien.
Strahlend blauer Himmel über Montreux. 30 Grad. An den Gestaden schweift mein Blick entlang der Rebhänge des Lavaux und über die Weite des Genfersees bis zu den schneebedeckten Gipfeln der französischen Berge. Ich atme tief durch; die Ferien können beginnen. Gemütlich radeln wir Richtung Vevey. Je mehr der Glanz von Montreux hinter uns liegt, umso mehr glänzen unsere Schweisstropfen. Die erste grosse Steigung in Vevey überwinden wir nicht mit dem «Funiculaire», sondern mit dem Velo; genauer mit dem E-Bike. Lindenblütenduft, Stille und im Rückblick der traumhafte «Postkarten»-Blick über den Genfersee.
Weiter geht es durchs Grasland Richtung Greyerz. Der Weg folgt einer alten Handelsroute, auf der bereits im Mittelalter die Greyerzer ihren Käse nach Vevey oder weiter per Schiff nach Genf und Lyon brachten.
Kulinarische und kulturelle Pausen
Unsere Tagesetappen von rund 50 Kilometern lassen Pausen und Besichtigungen zu. In Bulle erwartet uns das Schloss im Savoyer Stil und die Kirche Notre-Dame de Compassion mit der geschnitzte Eingangstüre aus dem 17. Jahrhundert. Das Stück «Gâteau bullois» (eine Art Bündner Nusstorte mit Schokoladenüberzug) ist nahrhaft. Mit höchstmöglicher Unterstützung des E-Bikes fahre ich am Ende der ersten Etappe locker den Hügel zum mittelalterlichen Städtchen Greyerz hinauf. Die Tonbildschau im Schloss gibt uns einen Überblick über die Herren von Greyerz. Den Kranich, ihr Wappentier, werden wir am folgenden Tag noch nach Chateau-d’Œx sehen. Das Frühstücksbuffet präsentiert die kulinarische Seite vom Freiburgerland. Neben Käse gibt es auch Safranbrot, Moutarde de Bénichon und Doppelrahm. Ein Amerikaner streicht ihn kräftig aufs Brot und erklärt dem dänischen Biker, dass dies frische Butter sei. Die Einheimischen tauchen darin Erdbeeren und essen Meringue dazu.
Aus einem anderen Blickwinkel die Schweiz entdecken
Bei der Ausfahrt aus Greyerz Richtung Tagesziel Schönried sehen wir beim Zurückschauen das Schloss Greyerz mit den Befestigungsanlagen aus einer Perspektive, die man kaum auf einer Postkarte sieht und die gerade deshalb fasziniert. «Ich nehme den Weg aus dem Velosattel ganz anders wahr als aus dem Auto», meint mein Begleiter erstaunt. Dies beglückt und fasziniert uns in den nächsten Tagen immer wieder.
Auf dem Weg nach Schönried begegnen uns in den kleinen Dörfern ursprünglicher Charme und traditionelle Baustile. In Lessoc steht mitten auf dem Dorfplatz ein gedeckter, achteckiger Brunnen mit silbergrauen Schindeln. Wie bei einem Kreisel umfahre ich den Brunnen und bestaune seine Mächtigkeit. Ein lautes Hupen aus einer Gasse schreckt mich auf. Ein Lieferwagen biegt um die Ecke; ein fahrender Einkaufsladen für die Bewohner. Als uns asiatische Gäste enthusiastisch aus dem GoldenPass-Zug grüssen, realisieren wir, dass wir im Saanenland sind. In der noblen Welt von Gstaad halten wir uns nicht lange auf; das Wetter-App verheisst nichts Gutes. Wir nehmen unseren letzten Anstieg nach Schönried dank des E-Bikes locker. Im Hotel «Ermitage» werden wir herzlich umsorgt. Unsere Veloschlüssel werden uns abgenommen, das Personal wird uns morgen unsere Bikes vorfahren. Genüsslich sitze ich schon bald in der Badewanne im Zimmer und sehe dem Gewitterregen zu. Ums Gepäck müssen wir uns nicht kümmern; es wird von Hotel zu Hotel transportiert.
Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleider
Am nächsten Tag nützt uns das Wetter-App nichts mehr. Im Dauerregen fahren wir bis Spiez. Die Bekleidung hält dicht; die Hände hingegen sind eiskalt. 10 Grad. In Boltigen wärmen wir uns an einem Tee und lassen uns durch die Witze am Stammtisch aufheitern. Auffallend die prächtigen Holzhäuser im Simmental. Kunstvoll bemalt und mit Schnitzereien verziert, zeugen sie vom Reichtum, der aus der Pferde- und Rinderzucht stammte. Im Hotelzimmer in Spiez stopfen wir die durchnässten Schuhe mit Zeitungen. Dann erkunden wir die wunderschöne Bucht. Fast zu lange. Hätte uns ein Gärtner der Schlossanlage nicht ein paar Minuten Überzeit geschenkt, wäre uns buchstäblich ein Kleinod verschlossen geblieben: die tausendjährige Schlosskapelle. Die nächste Etappe nach Wilen am Sarnersee wird für uns zum abwechslungsreichsten Tag trotz Dauerregen. Der erste Abschnitt führt neben der stark befahrenen Strasse entlang des Thunersees Richtung Interlaken. Dann folgt die Route 9 wieder Neben- und Naturstrassen. «Auf 2 km 100 m Aufstieg», warnt eine Tafel. Auf der Schussfahrt hinunter nach Isetwald ist der Blick frei auf den Brienzersee. Die Freude währt nicht lange. Ein noch längerer, satterer Anstieg. Da kommen wir sogar mit dem E-Bike ausser Atem in diesem Waldabschnitt. Bei der anschliessenden Abfahrt bin ich so beschäftigt mit dem schweren Velo, dass ich das Tosen nicht höre. Unvermittelt habe ich freie Sicht auf die Giessbachfälle! Später ersparen wir uns den Aufstieg auf den Brünig. Wir verladen die Velos bis Lungern in den Zug. Weg vom grossen Autoverkehr fahren wir auf der anderen Seite des Lungern- und Sarnersees und sehen Obwalden aus einem neuen Blickwinkel.
Blick auf Palmen und See
Kurz nach Sarnen radeln wir am letzten Tag wieder durch ein kleines Bijou. Zwischen Autobahn und einem schroffen Felsband liegt der unter Naturschutz stehende Wichelsee. Weil wir die Tour in Weggis beenden, verlassen wir in Luzern die Seenroute beim Bahnhof und folgen nun der Route 38, die beim Verkehrshaus links weggeht und über den Englischen Friedhof in den Meggerwald führt.
Auf der Naturstrasse steigt es zwar sanft, aber lange an. Der Blick über den See und auf die umliegenden Berge geniessen wir ohne Angst vor dem dichten Verkehr von oben. Vom Seeplatz in Küssnacht am Rigi ist der Blick immer wieder atemberaubend!
In Weggis blicken wir auf Palmen, den See und die Berge und denken zurück an unsere rund 280 Kilometer lange Velotour, die wir am Genfersee, ebenfalls mit Palmen, begonnen haben: Schön, ein Stück Schweiz erkundet zu haben. Was wir durch die Regenwolken nicht sehen konnten, können wir ein anderes Mal geniessen.
Monika Neidhart