Wer schon mal einen Jetlag nach einer langen Flugreise erlebt hat, weiss, wie es sich anfühlt, wenn die innere Uhr aus dem Takt gerät.
Der Wecker klingelt … frühmorgens und für die meisten von uns zu einer Zeit, in der unser Körper eigentlich noch nicht ausgeruht ist und wir das Bedürfnis verspüren, weiterzuschlafen. Abends früher ins Bett zu gehen, nützt auch nichts, denn wir sind Individuen. Jeder hat seinen eigenen Schlaf-Wach-Rhythmus, der bestimmt, zu welcher Zeit unser Köper sich am besten regenerieren kann oder die effizienteste «Betriebstemperatur» erreicht hat, um voll leistungsfähig zu sein. Doch Sommerzeit, Winterzeit, Schichtarbeit oder ein zu früher Arbeitsbeginn hindern uns ein Leben lang daran, unserer biologischen inneren Uhr Folge zu leisten. Wir müssen Hochleistung bringen zu Zeiten, an denen der Körper eigentlich auf Ruhe eingestellt ist.
Was steckt hinter der inneren Uhr?
Die innere Uhr ist ein biologischer Taktgeber, der praktisch in allen Zellen unseres Körpers vorhanden ist. Sie steuert viele Prozesse wie die Zellteilung, die Regulierung des Zuckerhaushalts und die Funktionen des Herz-Kreislauf-Systems, auch in der Nacht, wenn wir schlafen. Selbst während wir noch träumen, weiss die innere Uhr, dass es bald Zeit ist aufzuwachen, und bereitet uns schon mal auf den höheren Energieverbrauch beim Aufstehen vor. Die Körpertemperatur steigt, Hormone werden ausgeschüttet, um die Herzfrequenz zu beschleunigen und den Blutdruck zu erhöhen. Erst gegen 10 Uhr am Morgen erreicht unser Gehirn seine effektivste Phase – genau die richtige Zeit für geistige Höhenflüge. Gegen 20 Uhr bereitet der Körper sich langsam auf die Ruhephase vor. So unterliegen viele Funktionen des Körpers einem tageszeitlichen Rhythmus mit Hoch- und Tiefpunkten, die von der inneren Uhr gesteuert werden. Auch Pflanzen und Tiere verfügen über diesen Taktgeber.
Die Eulen und die Lerchen
Die innere Uhr legt fest, ob wir zu den Eulen oder Lerchen gehören, auch Chronotypen genannt. Die Frühtypen (Lerchen) gehen zeitig zu Bett und wachen früh auf. Kleine Kinder und ältere Menschen zählen meist zu dieser Gruppe. Doch viele Jugendliche entwickeln sich in der Pubertät von Lerchen zu Eulen (Spättypen). Sie kommen morgens nicht aus den Federn und sind bis weit nach Mitternacht fit und munter. Extreme Spättypen gehen erst zu Bett, wenn extreme Frühtypen schon wieder wach werden. Unter den Früh- und Spättypen gibt es sowohl Kurz- als auch Langschläfer. Wie die Uhr tickt, bestimmt aber nicht der Mensch selbst, sondern seine Erbanlagen. Demnach unterscheiden sich die Morgenmenschen in 15 Genen von Langschläfern.
Der soziale Jetlag – ein Leben gegen die innere Uhr
Das Pendant zur inneren Uhr ist die äussere, soziale Uhr. Sie gibt uns vor, zu welcher Uhrzeit wir am Morgen auf der Arbeit sein müssen, wann wir Höchstleistungen erbringen müssen und wann wir relaxen dürfen. Das bedeutet: Die innere und die äussere Uhr stimmen meist nicht überein, wir müssen unseren Körper ständig austricksen, um funktionsfähig zu bleiben. Diese Diskrepanz wird sozialer Jetlag genannt. Einen grossen Einfluss auf die innere Uhr hat auch das Tageslicht. Sinneszellen auf unserer Augennetzhaut messen, wann Tag und wann Nacht ist. Diese Informationen sind nötig, um den biologischen Tag-Wach-Rhythmus im Takt zu halten. Doch wir leben in einer Welt, die grösstenteils in geschlossenen Räumen stattfindet. Dort ist die Lichtintensität um ein Vielfaches niedriger als im Freien. Es gibt kein richtiges Hell und kein richtiges Dunkel mehr. Das hat zur Folge, dass sich die innere Uhr bei 90 Prozent der Bevölkerung nach hinten verschiebt.
Die gesundheitlichen Folgen der Diskrepanz
Je mehr das Gleichgewicht von innerer und äusserer Uhr auseinanderklafft, umso höher ist das Risiko, chronische Krankheiten wie Diabetes Typ 2, Bluthochdruck oder Stoffwechselstörungen zu entwickeln. Auch bei Übergewicht, Depressionen, Herz-Kreislauf-, neurologischen und Magen-Darm-Erkrankungen wird der Einfluss gestörter biologischer Rhythmen diskutiert. In gestörten Ruhephasen können sich demnach auch Viren schneller vermehren und eine Infektion verursachen. Bis jetzt ist nur geklärt, dass das Risiko von Erkrankungen bei einem gestörten Schlaf-Wach-Rhythmus erhöht ist, doch was dabei genau im Körper geschieht, ist immer noch unklar. Fakt ist, unausgeschlafene Menschen sind weniger produktiv, werden häufiger krank, begehen mehr Fehler und bauen öfter Unfälle.
Schlafhygiene-Empfehlungen
Unsere moderne Gesellschaft mit den langen und falschen Arbeitszeiten lässt uns immer weniger schlafen. Ein Drittel bis die Hälfte der Schweizer Bevölkerung leidet unter Schlafstörungen. Unseren Job können wir nicht einfach so kündigen, aber um die innere Uhr nicht ganz aus dem Gleichgewicht zu bringen, empfehlen Schlafforscher, auf weitgehende Dunkelheit und Ruhe im Schlafzimmer zu achten und Smartphones und Tablets aus dem Bett zu verbannen. Auf Koffein, Alkohol und schwere Mahlzeiten am Abend sollte ebenso verzichtet werden. Auch am Wochenende sollten Sie versuchen, dem Wochenrhythmus treu zu bleiben. Langes Ausschlafen sollte zu den Ausnahmen gehören.
Ein Modellversuch
In einem grossen deutschen Unternehmen wurde während einer fünfmonatigen Versuchsphase ein neues Schichtsystem eingeführt. Bei jedem Mitarbeiter wurde das persönliche Schlafmuster ermittelt und ihm die entsprechend passende Schicht zugeordnet. Frühtypen müssen keine Nachtschichten mehr übernehmen und Spättypen müssen nicht mehr in der Frühschicht arbeiten. In dieser Versuchsphase wurde erreicht, dass jeder Mitarbeiter im Durchschnitt pro Nacht eine Stunde mehr Schlaf erhielt. Die angepassten Arbeitszeiten führten zu leichten Verbesserungen im subjektiven Wohlbefinden. Frühaufsteher empfanden die Verbesserungen insgesamt stärker als die Langschläfer, was zeigt, dass Nachtschichten für alle Chronotypen hart sind – letztendlich sind auch Nachteulen nicht dafür geschaffen, die ganze Nacht durchzumachen. Man erhofft, dass diese Erkenntnisse die Arbeitskultur und das generelle Zeitmanagement in Zukunft verändern.