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Ferien / Reisen

Unterwegs bei netten Freunden

Unterwegs bei netten Freunden

Wer nicht gerade die pulsierenden Hauptstädte Riga und Vilnius besucht, erlebt in Lettland und Litauen Stille und Abgeschiedenheit im waldreichen Hinterland und in ursprünglichen Landschaften.
«Wie schmecken Lettland und Litauen?» Die landestypischen Nahrungsmittel er­zählen bereits viel über die zwei Län­der zwischen der Ostsee und Russland, ­Weissrussland und Polen. Fast überall erhältlich ist das schwere Roggenbrot aus Sauerteig, gewürzt mit Kümmel. Die im Wasser gekochten Cepelinai, die zeppelinförmigen, fast handgrossen Nocken aus Kartoffelteig, sind je nach Region unterschiedlich gefüllt, serviert mit einer Speck-Sauerrahm-Sauce. Dazu wird neben Bier Kwass getrunken, ein aus Russland stammendes, erfrischendes Getränk aus vergorenem Schwarzbrot. Es sind währschafte Gerichte, die lang sättigen. Die zwei Länder sind geprägt durch ein einfaches, bäuerliches Leben. Entsprechend präsentiert sich auch die Landschaft. «Hügel auf Hügeln, und auf diesen Hügeln wieder Hügel und kleine Hügel», beschreibt ein Dichter die Region in Oberlitauen. Ein Ergebnis der letzten Eiszeit, die am Rand des Baltischen Höhenrückens Moränenwälle hinterliess. Dazu weite, flache Landflächen. Rund 50 Prozent Wald, unzählige grössere und kleinere Seen und mäandrierende Flüsse in beiden Ländern. Allein in Lettland sollen es 3000 Seen und 2000 Flüsse sein.

Land der blauen Seen

Skandinavien ähnlich, eröffnen sich hier den Naturliebhabern zu Fuss, mit dem Velo oder auch mit einem Kanu unzählige Möglichkeiten. Stille und Abgeschiedenheit statt Reisebusse und Menschenmassen erfahren wir auf einer 10-tägigen Rundreise in vielen National- und Regionalparks. Auch Einheimische treffen wir selten an. «Wir sind eher träge Leute. Wir gehen gerne in die Natur – mit dem Auto – und picknicken an einem der unzähligen Grillstellen», charakterisiert der Lette Janosh, Führer im Regionalpark Daugavas Loki im östlichen Teil Lettlands, seine Landsleute.

Zu den schönsten Naturparks in Litauen zählt der Aukstaitija-Nationalpark nordöstlich der Hauptstadt Vilnius, in der Region, die auch als «Land der blauen Seen» bezeichnet wird. In den ursprünglichen Sumpflandschaften und Wäldern sind viele seltene Tier- und Pflanzenarten heimisch. Teile des Urwalds sind für Besucher nur sehr begrenzt zugänglich. Aisha, eine junge Istanbulerin, absolviert im Park ein Praktikum. «Die Natur hier ist grossartig. Ich schätze die Stille. Gewöhnungsbedürftig sind jedoch die Stechmücken und das wechselhafte, regnerische Klima.»

Gemeinschaft der Karäer

Trakai liegt südlich von Vilnius; rund eine halbe Stunde mit Zug oder Bus entfernt. In dieser Region erleben wir sowohl Natur- wie auch Religions- und Landesgeschichte auf kleinstem Raum. Über Stege führt ein drei Kilometer langer botanisch-zoologischer Lehrpfad durch teils sumpfiges Land. Eindrücklich, wie dünn und hoch die Kie fern hier wachsen, die dennoch bis zu 100 Jahre alt sind. Vogelgezwitscher. Reine, würzige Luft. Blauer Himmel. Ruhige Seen. Stille. Heidelbeeren reif zum Pflücken. An einem Massengrab für rund 2000 Juden werden wir aus der Idylle gerissen. 240 000 baltische Juden wurden bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs umgebracht. Mehr Glück hatten die Karäer. Sie wurden verschont, weil sie wie die Juden das Alte Testament anerkennen, jedoch nicht den Talmud und die rabbinische Tradition. Eine kleine Gemeinschaft von ihnen lebt in Trakai. Sie kamen aus der Krim als Palastwachen an den Hof von Trakai. Die mittelalterliche Wasserburg aus rotem Ziegelstein aus dem 14. Jahrhundert liegt malerisch, umgeben vom tiefblauen See und von Buchten. Die Burg, die gegen die Einfälle der Kreuzritter gebaut wurde, soll die meistfotografierte Burg Litauens sein.

Ich bin eine Bildunterschrift

Die Wende brachte nicht nur die Unabhängigkeit

Spricht man mit Einheimischen, wird der Zweite Weltkrieg und die Rolle Lettlands und Litauens kaum erwähnt. Dafür fällt immer wieder das Wort «Wende», das Ende der Zugehörigkeit zur Sowjetunion. Plattenbauten sind das sichtbarste Zeichen dieser 50-jährigen Geschichte. Maris, Veterinär im litauischen Dorf Sabile, das durch den nördlichsten Weinberg der Welt be­kannt wurde, möchte weder von besseren noch von schlechteren Zeiten sprechen. «Es war einfach anders.» Mit traurigen Augen erzählt er weiter: «Unsere Jungen gehen seit der Wende weg in die Stadt oder ins Ausland. Im Dorf gibt es keine Arbeit mehr. Während der Zugehörigkeit zur UdSSR gab es hier je eine Fabrik für die Verarbeitung von Gemüse und Textilien. Heute bietet nur noch die Landwirtschaft wenigen ein Einkommen.» Tatsächlich ist das Hinterland beider Länder sehr dünn besiedelt. Ackerflächen überwuchern, weil sie niemand bebaut. Manchmal sieht man mehr Störche als Menschen. Rund 20 000 Paare sollen jeweils den Sommer in diesen zwei Ländern verbringen.

Kurische Nehrung fasziniert Einheimische wie Touristen

Einheimische wie europäische Touristen treffen sich in Klaipeda. Die Stadt ist der ideale Ausgangspunkt, um die Kurische Nehrung zu entdecken; die schmale, knapp 100 Kilometer lange Landzunge aus purem Sand, streng aufgeteilt in russisches und litauisches Territorium. Hier fällt die 60 Me­ter hohe Düne im Westen direkt in die Ostsee, im Osten läuft sie als feiner Sandstrand in das Kurische Haff (Süsswasser) aus. Das Wechselspiel der Farben, der Kontrast zwischen Wasser, Sand, Dünen und dichtem Kiefernwald inspirierte Künstler, Dichter wie Thomas Mann und wohl jeden Urlauber. Wer sich nicht in der Sonne räkeln möchte, kann im feinen Sand barfuss gehen und mit etwas Glück und gutem Auge Bernsteine finden.

Jugendstil und Barock

Auch wenn Lettland und Litauen landschaftlich viel gemeinsam haben, sind sie durch die jeweils eigene Geschichte unterschiedlich geprägt. Für Reisende ist das besonders an den Kirchen, der Sprache und den beiden Hauptstädten sichtbar. Während die Kirchen in Lettland dem lutherischen Glauben angehören, sind sie in Litauen durch die lange Zugehörigkeit zu Polen katholisch. Sprechen Litauer und Letten miteinander, weichen sie oft auf Russisch aus. Lettlands Hauptstadt Riga ist stolz auf ihre Jugendstilhäuser. Ganze Strassenzüge jenseits des Flusses Düna in der Neustadt oder die Synagoge im Altstadtzentrum sind im dekorativen Stil von Michael Eisenstein oder im landesspezifischen Stil der «Nationalen Romantik» geprägt. Rote Backsteinbauten sind Zeugen davon, dass die Stadt einst Mitglied der Hanse war. Vilnius ist die grösste Altstadt Osteuropas. Eingebettet in die bewaldete Hügellandschaft, geteilt durch den Fluss Neris, ist die Stadt reich an Kirchen, insbesondere aus der Barockzeit. Das Nachtleben pulsiert, die Gastroszene lebt. «Lettland und Litauen sind mit Estland zusammen keine Drillinge, höchstens nette Freunde», bringt Nora, die Stadtführerin in Riga, die Beziehung der baltischen Staaten untereinander auf den Punkt.

Monika Neidhart

INFOS

  • Auch im Sommer kann es windig und kühl sein – Zwiebelschalen­prinzip inkl. Regenschutz nötig.
  • Beide Länder gehören seit 2004 zur EU.
  • Euro seit 2014, ab 2015 offizielle Währung.
  • Für CH-Bürger reicht eine ID für die Einreise.

Litauen

  • 3 Millionen Einwohner
  • Katholische Prägung (durch lange Zugehörigkeit zu Polen)
  • Hauptstadt: Vilnius, mit vielen Barockkirchen
  • Besonders sehenswerte Gebiete: Wasserburg Trakai und Umgebung, Kurische Nehrung

Lettland

  • Knapp 2 Millionen Einwohner; ein Drittel davon lebt in der Hauptstadt.
  • Hauptstadt: Riga, mit vielen Jugendstilhäusern
  • Besonders sehenswerte Gebiete: längste und ursprünglichste Sandstrände an baltischer Ostseeküste, ideal auch zum Bernsteinsammeln, Altstadt von Kuldiga mit breitestem Wasserfall Europas

Das Land der Burgen und Schlösser

Über 100 Burgen und Schlösser zählt das Aostatal: Trutzig und mächtig thronen sie auf jedem Felsvorsprung und wachen über das Tal hinter der Schweizer Grenze. Jede valdostanische Burg hat ihre eigene Geschichte und ihren eigenen Charakter. Freunde des Mittelalters kommen hier voll auf ihre Kosten.

Baumpollen sind lästig und doch faszinierend

Hasel und Erle blühen, Ende März kamen Esche und Birke dazu: Die Baumpollensaison ist in vollem Gang. Fast jede zehnte Person ist sensibilisiert auf Birkenpollen und reagiert damit allergisch auf deren Pollenkörner, die zur Blütezeit in der Luft herumfliegen.

Illetrismus im Alter: Die digitalen Senioren

Schon einmal haben wir uns im «active & live» mit dem Thema Illetrismus befasst, doch zwei Themen wurden vorerst nicht berücksichtigt. Wie wirkt sich dieser funktionale Analphabetismus im Alter aus? Und welche Auswirkungen hat die fortschreitende Digitalisierung? Und hängen diese beiden Aspekte zusammen?

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