Wenn die Gelenkkapsel im Schultergelenk plötzlich versteift, spricht man von einer Frozen Shoulder – eine schmerzhafte Erkrankung, die zu einem echten Geduldsspiel werden kann. Einige Fragen zu diesem Thema beantworten uns Dr. med. Pascal Vogt, Facharzt für Orthopädische Chirurgie, und Physiotherapeut Rob van Gelderen (Bsc Physiotherapie, Sportphysiotherapeut, MAS Manuelle Therapie).
Wie unerlässlich es ist, seine Schulter frei bewegen zu können, weiss man insbesondere dann zu schätzen, wenn man an einer Frozen Shoulder leidet. Was sich anfangs wie eine «falsche» Bewegung anfühlt, entwickelt sich schnell zu einer zunehmend schmerzhaften Bewegungseinschränkung im betroffenen Schultergelenk. Selbst banale Alltagsverrichtungen wie Haare waschen oder Kleidung an- und ausziehen gestalten sich dadurch fast unmöglich. Es fühlt sich an, als sei die Schulter eingefroren (eine Vorsichtsmassnahme unseres Körpers). Mediziner bezeichnen das Krankheitsbild auch als Schultersteife oder adhäsive Kapsulitis. Grundsätzlich werden mit der primären und der sekundären Schultersteife zwei unterschiedliche Formen der Frozen Shoulder unterschieden.
Wie entsteht eine Frozen Shoulder?
Damit sich der Oberarmkopf im Gelenk der Schulterpfanne frei bewegen kann, ist er von einer beweglichen Kapsel umhüllt. Im gesunden Zustand arbeitet diese Gelenkkapsel ähnlich wie eine Ziehharmonika. Sie zieht sich auseinander, während man den Arm abspreizt, und faltet sich zusammen, wenn man den Arm zurück an den Körper legt. Zu Beginn der Erkrankung entzündet sich die Kapsel. Durch den entzündlichen Vorgang verdickt das Kapselgewebe und schrumpft zusammen. Verklebungen können ebenfalls die Folge sein. Die Beweglichkeit des Oberarmknochens wird durch das krankhafte Kapselgewebe stark eingeschränkt. Am weitesten verbreitet ist die primäre (idiopathische) Frozen Shoulder. Die Erkrankungsform scheint ohne erkennbaren Grund zu entstehen. Es gibt jedoch mögliche Risikofaktoren für die Entstehung: hormonelle Störungen oder Stoffwechselstörungen wie beispielsweise Diabetes mellitus. Menopause und Schilddrüsenerkrankungen. Ein gesteigerter Alkoholkonsum gilt ebenfalls als Risikofaktor. Auch eine genetische Veranlagung wird vermutet. Bis heute ist jedoch unklar, was den krankhaften Vorgang auslöst. Die sekundäre Frozen Shoulder kann die Folge von Verletzungen, einer Schulterarthrose, Infektionen, Überbelastung oder Operationen im Schulterbereich sein.
Eine Krankheit, die viel Geduld erfordert
Die Frozen Shoulder ist eine häufig vorkommende und langwierige Erkrankung. Schätzungsweise zwei bis fünf Prozent der Bevölkerung leiden irgendwann im Leben einmal daran. Meist tritt eine Erkrankung zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr auf, wobei Frauen etwas häufiger betroffen sind als Männer. Vor allem Menschen, die unter Diabetes mellitus leiden, sind gefährdet. Von ihnen sind etwa 10 bis 20 Prozent betroffen.
Wie stellt der Arzt die Diagnose?
Damit der Arzt die Diagnose Frozen Shoulder stellen kann, wird er zuerst den Betroffenen ausführlich zu seinen Beschwerden befragen und körperlich untersuchen. Um bestimmte andere Erkrankungen auszuschliessen, wird der Arzt gegebenenfalls weitere Untersuchungen vornehmen. Das können Röntgenaufnahmen oder Ultraschalluntersuchungen sein, aber auch eine Blutuntersuchung, um Entzündungssymptome festzustellen. Ergänzend können auch eine Computertomografie oder Magnetresonanztomografie angeordnet werden. Selten ist eine Gelenkspiegelung notwendig.
Wann ist eine Operation bei der primären Frozen Shoulder angebracht?
Dr. med. Pascal Vogt hat schon zahlreiche Patienten mit einer Frozen Shoulder behandelt und meint dazu: «Wenn sich über einen Zeitraum von mehr als drei Monaten die Beweglichkeit trotz konservativer Therapie nicht verbessert und der Patient unter der Bewegungseinschränkung und dem Schmerz leidet, wird eine Operation in Erwägung gezogen. Dabei wird dann die verkürzte und geschrumpfte Gelenkkapsel mit einer Elektrosonde oder einem scharfen Messer von der knöchernen Pfanne gelöst. Durch die Operation profitiert der Patient in der Regel durch eine deutliche Zunahme des möglichen Bewegungsausmasses. Eine vollständige Beschwerdefreiheit lässt sich durch die OP nicht immer erreichen, ausserdem kann es auch zu Rezidiven (Rückfällen) kommen, insbesondere wenn man während der entzündlichen ersten Phase operiert. Grundsätzlich ist eine Operation der primären Frozen Shoulder deshalb frühestens ab der zweiten Phase ratsam. Ein zu früh durchgeführter Eingriff in der ersten entzündlichen Phase kann einen zusätzlichen Entzündungsreiz verursachen und damit die Krankheit in die Länge ziehen. Eine konservative Behandlung ohne Operation ist in den meisten Fällen die erfolgreichere Herangehensweise und führt in rund 90 Prozent der Fälle zur Beschwerdefreiheit.»
Wann ist eine Operation bei der sekundären Frozen Shoulder angebracht?
«Manchmal führt auch ein operativer Eingriff an der Schulter selbst zu einer sekundären Frozen Shoulder», erklärt Dr. med. Vogt. Das kann dann zu einer erheblichen Bewegungseinschränkung der Schulter führen. In der Regel bildet sich die sekundäre Schultersteife aber nach einigen Monaten von alleine wieder zurück, sodass ich auch hier mit der Indikation für einen erneuten operativen Eingriff sehr zurückhaltend bin. Aufklärung, Abwarten und Geduld haben gilt hier genauso wie bei der primären Frozen Shoulder. Eine Cortison-Infiltration innerhalb der ersten drei Monate nach Schulteroperation ist aber in der Regel kontraindiziert, da sonst der Heilungsprozess verzögert wird.»
Franzi Holweck / Anne Weber
Die drei Phasen der Frozen Shoulder
Beide Formen der Frozen Shoulder führen zu einer unwillkürlichen oder willkürlichen Schonung des betroffenen Schultergelenks. Die Versteifung des Schultergelenks entwickelt sich schleichend, und der Verlauf kann sich über Monate oder gar Jahre hinziehen. Wie lange die einzelnen Phasen dauern, kann man letztendlich nicht genau vorhersagen. Anhand der Symptome wird der Krankheitsverlauf in drei Phasen oder Stadien unterteilt:
1. Phase – Schmerz- und Entzündungsphase
Dieses Stadium wird auch als «Freezing-Phase» oder Einfrierungsphase bezeichnet. Die erste Phase der Erkrankung ist geprägt durch plötzlich auftretende Schmerzen im Schultergelenk, zum Beispiel wenn Sie etwas aus einem hohen Schrank herausnehmen möchten. Erste Bewegungseinschränkungen und Schmerzen sind möglich, stehen aber noch nicht im Vordergrund. Die Symptome quälen Betroffene vor allem nachts in den Ruhephasen. Die Gelenkkapsel ist entzündet und aufgeschwollen. Das erste Stadium kann zwischen drei und sechs Monaten dauern.
Rob van Gelderen: «Unser Körper neigt dazu, pragmatisch auf den Schmerzzustand zu reagieren, indem er die betroffene Schulter schont (einfriert). Dadurch versteift das Schultergelenk zunehmend.»
Dr. med. Pascal Vogt: «Die erste Phase ist die unangenehmste, und die Schmerzzunahme verläuft in der Regel sehr schnell. Ich empfehle meinen Patientinnen und Patienten, in dieser Phase Aktivitäten und Bewegungen zu vermeiden, welche die Schmerzgrenze überschreiten. Leichte Schwimmübungen können guttun. Während der Freezing-Phase hilft oftmals eine Cortison-Behandlung. Mittels einer Infiltration (Steroidinjektion) kann das Cortison direkt am Ort der Entzündung wirken. Daneben gibt es die orale Cortison-Therapie in Tablettenform. Das Cortison wirkt entzündungshemmend und schmerzlindernd. Während der Freezing-Phase bin ich mit der Verschreibung einer manuellen Therapie eher zurückhaltend. Doch sobald sich der Schmerzzustand verbessert (ab der 2. Phase), ist eine Physiotherapie sicher angebracht.»
2. Phase – Versteifung
Die zweite Phase nennt man auch Plateau-Phase. Der Schmerz lässt langsam nach. Dafür machen sich zunehmend Bewegungseinschränkungen bemerkbar, die Schulter «friert» ein. Alltägliche Bewegungen sind nicht mehr möglich. Im Schultergelenk beginnt die Gelenkkapsel zu schrumpfen, das Bindegewebe verhärtet und verklebt zunehmend. Durch die eingeschränkte Beweglichkeit der Schulter kommt es oftmals zu einem Abbau der Schultermuskulatur. Diese Phase dauert rund vier bis zwölf Monate.
Rob van Gelderen: «Mit kleinsten Übungen kann der Physiotherapeut in dieser Phase die Mobilität des Schultergelenks unterstützen. In vielen Fällen ist es möglich, dadurch die Qualität des Gewebes in der Schulter zu verbessern und die verlorene Bewegungsfreiheit wiederherzustellen. Es ist ein kognitiver Prozess – der Physiotherapeut arbeitet aktiv am Patienten und lehrt ihn, ein Verständnis für seine eigenen Schmerzgrenzen zu finden. Es ist von grosser Bedeutung, diese Grenzen zu kennen und sie einzuhalten, denn viel hilft nicht unbedingt viel.
Kooperation und Kommunikation zwischen Physiotherapeut und Patient sind für eine Verbesserung der Frozen Shoulder massgebend. Der Patient darf sich nicht zurücklehnen und sich ausschliesslich auf die Arbeit des Physiotherapeuten verlassen, sondern er muss die Eigeninitiative ergreifen und Übungen, die gelernt hat, auch zu Hause konsequent weiterführen.»
3. Phase – Lösungsphase
Die dritte Phase wird auch «Thawing Phase» oder Auftauphase genannt. In dieser Phase sind die Schmerzen fast ganz verschwunden, und die Bewegungseinschränkungen lösen sich im besten Fall vollständig, wenn man Glück hat. Diese Phase kann ein bis drei Jahre dauern. Restbeschwerden können jedoch bis zu zehn Jahre bestehen bleiben.
Dr. med. Pascal Vogt: «Eine Frozen Shoulder kann sehr unterschiedlich verlaufen. Es gibt Fälle, in denen Patienten nach drei Monaten beschwerdefrei sind, andere warten bis zu fünf Jahre auf eine vollständige Genesung. Es ist in der Tat eine Frage der Geduld, die sich schlussendlich jedoch auszahlt. Rund 90 Prozent der Patienten sind danach völlig beschwerdefrei.»
Andere Erkrankungen ausschliessen
Viele verschiedene Schultererkrankungen führen zu ähnlichen Symptomen wie bei der Frozen Shoulder. Daher sollen in einem ersten Schritt andere Erkrankungen als Auslöser der Beschwerden ausgeschlossen werden. Dazu gehören folgende vier Krankheitsbilder:
- Kalkschulter – Tendinosis calcarea
- Schulterarthrose – Omarthrose
- Schleimbeutelentzündung – Bursitis subacromialis
- Impingement-Syndrom