Die Bluterkrankheit – der wissenschaftliche Name lautet Hämophilie – ist eine der häufigsten Erbkrankheiten, von der fast ausnahmslos Männer betroffen sind. Bei Hämophilie ist die Blutgerinnung gestört. Das Blut aus Wunden gerinnt nicht oder nur sehr langsam.
Die Bluterkrankheit wird bereits im jüdischen Talmud erwähnt. Auf die Beschneidung bei neugeborenen Knaben dürfe verzichtet werden, wenn bereits vorgängig zwei Söhne daran verblutet seien, so die Weisung. Die Bluterkrankheit ist eine Gerinnungsstörung des Blutes. Vererbt wird die Krankheit über die Geschlechtschromosomen. In ihrem Erbgut haben Frauen zwei X-Chromosomen, Männer ein X- sowie ein Y-Chromosom. Es handelt sich bei der Bluterkrankheit um eine an das X-Chromosom gebundene erbliche Erkrankung, an der vor allem Männer erkranken. Frauen bekommen die Krankheit kaum, da ihr zweites X-Chromosom meistens unverändert ist. Sie können das kranke Gen jedoch weitergeben. Das bedeutet, dass ihre Kinder die Krankheit bekommen können.
Wie gerinnt Blut?
Die Blutgerinnung ist lebensnotwendig, da diese Eigenschaft uns vor dem Verbluten schützt. Wird ein Blutgefäss verletzt, wird das Blutgerinnungssystem aktiviert. Zellen im Blut – die Blutplättchen – verschliessen in Form eines Gerinnsels vorübergehend die Öffnung der betroffenen Stelle. Eiweisse im Blut, die sogenannten Gerinnungsfaktoren, verkleben die Blutplättchen mit den Wundrändern, sodass ein Nachbluten verhindert wird. Die Blutung wird gestoppt und das beschädigte Blutgefäss verheilt, indem sich eine Kruste bildet.
Bei Menschen mit Hämophilie gerinnt das Blut nicht, die Wunde schliesst nicht vollständig oder nicht schnell genug. Es liegt ein Mangel des Gerinnungsfaktors vor, was eine unzureichende Blutgerinnung zur Folge hat, weil das entsprechende Gerinnungseiweiss fehlt.
Die Hauptformen der Hämophilie
Man unterscheidet zwei Hauptformen der Hämophilie, die Hämophilie A und die seltener auftretende Hämophilie B sowie weitere Unterformen der Krankheit. Patienten mit einem Mangel an Faktor VIII leiden unter Hämophilie A, Patienten mit einem Mangel an Faktor IX an Hämophilie B, beide Faktoren sind unersetzliche Bestandteile in der Blutgerinnung. Hämophilie A kommt am häufigsten vor. Von 10 000 neugeborenen Knaben ist einer von der Krankheit betroffen. Bei Hämophilie B kommt ein Neugeborenes auf etwa 50 000 Knaben. In der Schweiz leben etwa 900 Menschen mit Hämophilie.
Symptome und Schweregrad der Krankheit
Die Symptome der Bluterkrankheit sind – wie der Name schon sagt – häufig auftretende, nicht zu stillende Blutungen. Die Blutungsneigung ist unterschiedlich und hängt davon ab, wie gross die Menge an Gerinnungsfaktoren im Blut ist. Erste Blutungen treten bei den Betroffenen meist schon vor dem ersten Lebensjahr auf, wenn das Baby aktiver wird. Anzeichen können blaue Flecken sein, bereits geringfügige Verletzungen können zu ausgedehnten Blutungen ins Gewebe und in die Gelenke führen, was sich durch Schmerzen bemerkbar macht. Je nach Schweregrad der Erkrankung spricht man von leichter, mittelschwerer oder schwerer Hämophilie.
Bei einer leichten Hämophilie treten im Alltag nur wenige Symptome auf – die Betroffenen haben selten spontane Blutungen, die Wunden bluten jedoch bei schwereren Verletzungen oder Operationen länger nach. Bei Patienten mit einer mittelschweren Hämophilie können schon kleine Verletzungen starke Blutungen auslösen. Wird nicht rechtzeitig behandelt, kann dies zu grossem Blutverlust führen. Bei der schweren Form der Hämophilie treten Blutungen auch ohne Ursache auf. Typisch für Hämophiliepatienten sind Gelenkeinblutungen, häufig durch Unfälle verursacht. Die grossen Gelenke sind besonders betroffen. Ein Kreislauf von Entzündungen und Blutungen wird in Gang gesetzt, und es entsteht eine sogenannte Hämarthrose, eine wiederholte und fortbestehende Einblutung. Das führt zu einer Ausweitung der Gelenkkapsel und Vernarbungen des Gelenkinnenraums. So entwickeln sich auch bei noch jungen Patienten schnell starke Arthrosen und dementsprechend Schmerzen.

Bewegung
Auch für Personen mit Hämophilie ist Bewegung sehr wichtig, denn Sport und Physiotherapie helfen, das Risiko von Blutungen zu vermindern. Zudem schützen stärkere Muskeln die Gelenke besser, und flexible Bänder geben dem Gelenk mehr Halt und Bewegungsmöglichkeit, was das Risiko für Verletzungen reduziert. Empfohlene Sportarten sind etwa Bogenschiessen, Rudern, Segeln, Schwimmen, Tanzen oder Golf. Verzichtet werden sollte auf sämtliche Kampfsportarten, Klettern, Skifahren, Reiten, Basketball, Handball, Rugby.
Behandlung bei schwerer Hämophilie – prophylaktisch
Bei der prophylaktischen Behandlung bekommt der Patient regelmässig ein- bis dreimal pro Woche Injektionen des betreffenden Gerinnungsfaktors. Der Faktorspiegel im Blut muss ausreichend hoch gehalten werden, um Blutungen vorzubeugen und die Funktionsfähigkeit der Gelenke zu erhalten. Diese Behandlungsart wird bei schwerer Hämophilie A und B bereits ab Kindesalter empfohlen.
Bedarfsbehandlung
Bei einer Bedarfsbehandlung, man nennt sie auch On-Demand-Behandlung, wird dem Betroffenen der Gerinnungsfaktor nur im Falle einer Blutung injiziert. Das muss so schnell als möglich geschehen.
Heimselbstbehandlung
Die Substitutionstherapie wird heute meistens als kontrollierte Heimselbstbehandlung durchgeführt. Ein korrekt geführtes Substitutionstagebuch ist die Voraussetzung für die Durchführung einer kontrollierten Heimselbstbehandlung. Festgehalten werden vom Patienten unter anderem Datum / Uhrzeit, Blutungsstelle, Behandlung, Faktormenge etc. Diese Behandlung gibt dem Patienten mehr Unabhängigkeit, erleichtert ihm das Alltagsleben und hat den Vorteil, dass auch bei plötzlichen Verletzungen schnell reagiert werden kann.
Leben mit Hämophilie
Die Krankheit ist nicht heilbar, die Betroffenen sind zeit ihres Lebens auf eine Behandlung angewiesen. Wird die notwendige Therapie verlässlich und genau eingehalten, ist heute, im Gegensatz zu früher, als die Betroffenen selten das Erwachsenenalter erreichten, ein weitgehend normales Leben möglich.
Eine Hämophilie begleitet Familien oft ein Leben lang – alle Betroffenen müssen mit der Erkrankung leben und lernen, damit umzugehen.
Weitere Infos: www.shg.ch, www.hemoschweiz.ch
Vererbung der Hämophilie
Jede Zelle enthält 46 Chromosomen, die je zur Hälfte über die Mutter beziehungsweise über den Vater weitergegeben werden. 44 dieser Chromosomen liegen paarweise vor, die Erbanlage ist doppelt vorhanden. Bei den zwei übrigen handelt es sich um die Geschlechtschromosomen, wovon Frauen zwei X-Chromosomen besitzen, Männer ein X- und ein Y-Chromosom. Die Erbinformation für die Bildung des Faktors VIII und IX liegt auf den X-Chromosomen. Bei Frauen kann also eine Mutation auf einem X-Chromosom meistens durch das zweite X-Chromosom ausgeglichen werden – bei Männern ist dies nicht der Fall, da sie nur eines besitzen. Hat die Mutter ein defektes X-Chromosom (wie dies bei Königin Victoria der Fall war) und der Vater ist gesund, sind mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit die Töchter Überträgerinnen der Krankheit und die Söhne Bluter.
Die «Krankheit der Könige»
Die Bluterkrankheit wird auch «Krankheit der Könige» genannt – aus gutem Grund. Königin Victoria von Grossbritannien (1819 bis 1901) hat die Fürstengeschlechter halb Europas verseucht. Ihr Erbgut enthielt eine Anlage für die Bluterkrankheit, die auf drei ihrer insgesamt neun Kindern überging, und zwar auf einen Sohn und zwei Töchter.