Kinder dürfen spielen, ja sollen sogar, da stimmt jeder zu. Tun es Erwachsene, so gleicht die Welle der Begeisterung eher einem kleinen Rinnsal. Stürzt sich aber dennoch ein mutiger Erwachsener in die unergründliche Welt der Spiele, wird er weit mehr finden als nur Erholung, Spass und Flucht aus dem Alltag.
Spielen scheint auf den ersten Blick ineffizient, da es kein Ziel verfolgt, ausser sich die Zeit zu vertreiben. Oder sehen sie etwa einen Zweck darin, wenn bei «Eile mit Weile» reihum gewürfelt wird, damit vier Spielfiguren möglichst schnell eine gewisse Strecke zurückgelegt haben, oder wenn man beim Jassen stundenlang Karten hin und her schiebt? Begleiten Sie mich auf der Reise durch die Welt des Spielens und erfahren Sie, weshalb es Sinn macht, auch als Erwachsener dem Spieltrieb nachzugehen.
Das Spiel des Lebens – weshalb wir spielen, um zu leben
Gerade bei Kindern ist das Spielen wichtig, denn beim Spielen ist alles erlaubt. So kann man als kleine Prinzessin, als tapferer Held oder als armer Bettler eine Rolle annehmen und sich so in Situationen versetzen, ausprobieren, testen – und das, ohne bewertet zu werden, ohne leisten zu müssen. Spielen dient dazu, sich weiterzuentwickeln. Forscher haben gar herausgefunden, dass Kinder, die nicht spielen können, in der Entwicklung der Kreativität und der Konzentrationsfähigkeit eingeschränkt sind. Beobachtet man die Heranwachsenden, fällt auf, dass sie je nach Alter genau das spielen, was sie für ihre Entwicklung brauchen. In den ersten zwei Lebensjahren spielen Kinder oft allein. Erst mit drei bis vier Jahren, dann wenn ihre Vorstellungskraft ausgereift ist und ihr Sprachvermögen sich mehr und mehr entwickelt, suchen sie Spielgefährten, um genau diese Fähigkeiten weiter zu perfektionieren. Faszinierend unsere Natur, finden Sie nicht auch.
Der Entwicklungspsychologe Rolf Oerter sagt, dass Menschen im Spiel die Fähigkeiten lernen, welche sie später zum Überleben brauchen, sie lernen dabei vor allem auch, nach welchen Regeln das Zusammenleben funktioniert. Spielen hilft auch die emotionale Intelligenz zu entwickeln. Vermutlich kennen Sie solche Situationen oder kennen mindestens eine Person, die, wenn sie verliert, durchaus mal das ganze Spielbrett samt Spielkarten und Spielfiguren dem Erdboden gleich macht. Ich gestehe ganz offen: Früher konnte ich nicht gut verlieren und habe dann auch ganz gerne mal den Boden mit Spielfiguren dekoriert. Damit habe ich nach Ansicht der Spielpsychologen jedoch nicht nur gelernt, mit den eigenen Gefühlen umzugehen, sondern auch meine Kräfte und Fähigkeiten spielerisch mit anderen erprobt und somit die notwendige Flexibilität erhalten, um mich später in verschiedenen Situationen zurechtzufinden. Denn gerade beim Spielen mit anderen lernen wir, unsere eigene Meinung zu vertreten, aber auch mit Enttäuschungen und Misserfolgen umzugehen. Man könnte jetzt denken, wenn wir als Kinder genug gespielt haben, würden wir dies als Erwachsene nicht mehr tun. Die aktuellen Entwicklungen auf dem Markt für Gesellschaftsspiele zeigen aber eine andere Entwicklung. Dazu kommt, dass in immer mehr Städten Spielabende von Vereinen oder privaten Gruppen organisiert werden. Aber auch neue Formen des Spielens wie beispielsweise Fox Trails, eine Art moderne Schnitzeljagd, oder Escape Room Games boomen. Bei Letzteren werden die Teilnehmer in einen Raum eingeschlossen und müssen einen Fall mithilfe von Hinweisen lösen, um wieder freizukommen. Gerade bei dieser neuen Art von Spielen verbessern auch Erwachsene ihre Fähigkeit, Probleme zu lösen. Als Eingeschlossener muss ich die Ausgangssituation analysieren, muss mir überlegen, wie ich die Hinweise einsetzen kann, in welcher Reihenfolge ich bestimmte Schritte anwenden muss, um mich aus dem Raum zu befreien. Zudem lerne ich auch die Fähigkeiten meiner Mitspieler zu nutzen, weil ich vielleicht für bestimmte Rätsel, die gestellt werden, das nötige Wissen nicht habe.
Gamification – wenn die Arbeit zum Spiel wird
Nicht nur im privaten Bereich boomen Spiele, auch Unternehmen führen – unter dem Begriff Gamification zusammengefasst – immer mehr spielerische Elemente am Arbeitsplatz ein. Sicher kennen Sie als Kunde verschiedene Unternehmen, die Spiele nutzen, um Sie dazu zu bewegen, mehr einzukaufen, mehr Sport zu machen oder um ihre Daten zu erhalten. So kann man beispielsweise auf Onlineportalen wie 20 Minuten aber auch an Messen wie der Olma an zahlreichen Wettbewerben mitmachen, wenn man die eigene Adresse und somit die für die Unternehmen wichtigen Daten angibt. Aber auch Krankenkassen oder andere Versicherungen machen sich den Spieltrieb der Menschen zunutze. Ein kurzer Klick und eine App zeigt mir, wie viele Schritte ich pro Tag zurückgelegt habe, oder es trackt mein Fitnesslevel, und wenn ich ein gewisses Ziel erreicht habe, kriege ich Punkte, die ich dann bei Partnern der Versicherung einlösen kann, oder ich erhalte gar Rabatte auf Zusatzversicherungen.
Doch auch sogenannte «Serious Games» werden von Unternehmern immer stärker eingesetzt, um innerhalb des Unternehmens Mitarbeiter zu motivieren, die Kreativität zu fördern oder Prozesse zu optimieren. Ein Einsatzbereich für «Serious Games» ist die Einführung eines neuen Computerprogramms. Auch in meinem eher jüngeren Alter kenne ich das leider noch so: Man setzt sich mit allen anderen Arbeitskollegen in einen überaus attraktiven Seminarraum und lauscht den interessanten und meist mehrstündigen Ausführungen eines Experten. Danach setzt man sich ins eigene Büro und fragt sich schon beim Öffnen des Programms, wie das nun doch schon wieder funktionierte, obwohl es vorhin beim Experten so einfach aussah. Hier könnte Gamification helfen. Dabei würden Sie zuerst mithilfe von kleinen, einfacheren Aufgaben mit dem Programm vertraut gemacht. Auf spielerischem Weg werden, wenn Sie die einfacheren Aufgaben geschafft haben, immer kniffligere Tätigkeiten von Ihnen verlangt. Als «Spieler» werden Sie während der Einführung regelmässig mit den zusätzlichen Informationen versorgt, genau dann, wenn sie diese auch brauchen und aufnehmen können. Sie erhalten auch Feedback und Herausforderungen, wo notwendig, damit keine Langeweile aufkommt. Der Vorteil dieses Ansatzes, sie erhalten die Fachinhalte, aber müssen es dann sofort anwenden, was den Lerneffekt verstärkt. Diese Art von Spielen lässt sich auch in Schulen einsetzen, um spielerisch Mathematik zu lernen oder sich die Geschichte der Schweiz zu erklären, was gerade in der heutigen Zeit, mit den neuen digitalen Möglichkeiten, grosses Potenzial hat.
Gut im Spiel – gut in der Realität?
Wenn Sie schon einmal einem Schachspieler beim Spielen zugeschaut haben, wissen Sie, dass höchste Konzentration, eine strategische Vorgehensweise und eine ausgeklügelte Taktik gefragt sind. Wenn Sie jetzt aber denken, dass der Schachspieler auch im Alltag strategisch geschickt ist und mit voller Konzentration agiert, wenn er Hecken schneidet oder die neuen Vokabeln für eine Fremdsprache lernt, dann muss ich sie enttäuschen. Die Transferfähigkeit sind nach dem Neuropsychologen der Universität Zürich, Lutz Jäncke, «eher mau».
Transferieren können wir die Fähigkeiten, die wir im Spiel nutzen, nicht in den Alltag, aber faszinierenderweise lassen sich Defizite mithilfe von Spielen ausgleichen. Besonders die Aufmerksamkeit, die Reaktionsgeschwindigkeit, aber auch die Empathie, das Sicheinfühlen, das Entlarven von Lügen, das Lesen von Menschen, all diese Fähigkeiten können wir durch vermehrtes Spielen verbessern. Abgesehen von den Defiziten, die wir durch das Spielen ausgleichen können, haben Spiele noch eine weitere wichtige Funktion. Beim Spielen kommt es weder auf das Geschlecht noch das Einkommen an, das eine Person verdient. Im Spiel, ob digital oder analog, muss sich jeder an die gleichen Regeln halten. Die Grundessenz, um aus einem Spiel ein Lernfeld zu machen, ist aber immer noch der Spass und die Freude beim Spielen, egal ob mit Freunden gespielt wird oder spielerische Elemente bei der Arbeit eingebaut werden. So ist Spielen wohl erst mit Spass und Freude «eine Tätigkeit, die man gar nicht genug ernst nehmen kann», wie bereits Jacques-Yves Cousteau sagte.
Madeleine Eigenmann